Das Spiel mit der Sicherung

Nachricht 08. Januar 2015

Debatte unter kritischen Christen über „Religion und Krieg“ birgt viel Zündstoff in sich

Harpstedt - (Kreiszeitung v. 09.01.2015 - Anja Nosthoff) Ein „heißes Eisen“ beschäftigt aktuell den Harpstedter Gesprächskreis „Kritische Christen“. Über „Religion und Krieg“ diskutierten in dieser Woche rund zehn Interessierte. Im kommenden Monat findet die Debatte, die viel Zündstoff in sich birgt, in der für Interessierte generell offenen Gruppe ihre Fortsetzung unter dem Motto „Woher kommt die Angst vor dem Islam?“ Um mit einem fachkundigen Experten in einen Dialog treten zu können, bemüht sich Pastorin Hanna Rucks darum, für einen der nächsten Termine einen muslimischen Religionsvertreter als Gast einzuladen.

Zahlreiche Fragen beschäftigten die kritischen Christen. Etwa: Kann Religion verantwortlich für Krieg sein? Oder wird sie als Instrument zum „Auslösen der Sicherung“ bei den Menschen benutzt und führt so dazu, dass unter ihrem Deckmantel sogar Morde verübt werden? Wenn dem so ist, was liegt dann dem Ausbruch der Gewalt ursprünglich zugrunde? Stichpunkte wie Neid und Gier, das Streben nach Wohlstand und besseren Lebensbedingungen, nach Land, Wasser und Macht wurden genannt, aber auch Gerechtigkeit, Rache, Wiedergutmachung und Täter-Opfer-Ausgleich.
 
Das komplexe Thema ließ die Debattierenden noch weiter ausholen. Hat die Evolution die Gewalt in den Menschen manifestiert? Ist Letztere schon bedingt durch die Evolutionsgeschichte der Menschheit ein männliches Phänomen? Kann die Gesellschaft eine Ebene erreichen, in der Aggression und Krieg komplett verschwinden? „Der Mensch kann als Waffe gesehen werden, die so lange harmlos ist, bis die Sicherung gelöst und der Abzug betätigt wird“, lautete eine These. Kann jedoch diese Sicherung bei den Menschen unüberwindbar gemacht werden? Damit es zu keinem Ausleben von Gewalt mehr kommt? Durch soziale Gerechtigkeit? Durch Toleranz hinsichtlich konkurrierender Weltanschauungen? Vielleicht sogar durch Religion und Kirche?
 
Dem Christentum wohne, wie es hieß, wie auch anderen Religionen Potential zur Befriedung der Menschheit, zum „Unüberwindbarmachen der Sicherung“, inne. Als Beispiele kamen die von Jesus gepredigte Nächstenliebe oder das fünfte Gebot „Du sollst nicht töten“ zur Sprache. Die Diskussionsrunde überlegte, warum Religion aber zugleich andersherum als Instrument funktioniert, um Menschen zu gewalttätigen, kriegsführenden Massen werden zu lassen. Auch in der Bibel und in der Kirchengeschichte gibt es dafür Beispiele. Aktuell nutzen islamistische Extremisten Koran-Suren für Kriegstreiberei. Welche Rolle spielen dabei über die Religion hinaus konkurrierende Weltanschauungen und Wertesysteme sowie die Angst und das Unwohlsein vor dem Fremden oder unter Fremden? Wie lässt sich der Gewalt begegnen? Zählt ein Täter- weniger als ein Opferleben? Soll und muss man sich selbst „entsichern“ und bereit sein, selbst Gewalt anzuwenden, oder soll und muss man befürworten, dass andere Gewalt anwenden, wenn es gilt, einen Völkermord zu verhindern? Wie sollte sich die Kirche positionieren?
 
Die Diskussion warf ungezählte Fragen auf. Das komplexe Thema schloss das Finden von Antworten und Lösungen quasi per se aus, doch die Debatte gab durchaus Denkanstöße, um im eigenen Innersten nachzuspüren und in der Begegnung von Gewalt, aber auch in der Begegnung mit dem Fremden noch sensibler zu werden – und stets ein wachsames Auge auf seine eigene Sicherung zu haben.
 

Quelle: Kreiszeitung ONLINE v. 09.01.2015