Blaumann statt Talar

Nachricht 11. Februar 2015
2015-02-12KreiszeitungBaustelleGott.
Mit der Malerin Roswitha Kölling (2.v.l.) aus Reckum verwandeln hier Frederike Winter, Jule Ranke und Madita Dutsch eine Gastronomie-Espressomaschine in ein Kunstobjekt. Foto: Kreiszeitung

Erster Baustellen-Gottesdienst in Harpstedt: Unkonventionelles ist Programm

Harpstedt - (Kreiszeitung v. 12.02.2015 von Anja Nosthoff). Der Altarraum ist in buntes LED-Licht getaucht. Jugendliche bedienen Mischpultregler. Aus Lautsprechern kommt Musik. Kirchenbänke verlassen ihre angestammten Plätze, um sich zu Sitzgruppen zusammenzufinden. Teenager hantieren in der Christuskirche mit Pinseln und Acrylfarben, um unter Anleitung der Reckumer Künstlerin Roswitha Kölling eine Gastronomie-Espressomaschine künstlerisch aufzupeppen.

Das geschäftige Treiben der aus Konfirmanden bestehenden Jugendgruppe vom Dienstagabend hat einen guten Grund: Am Sonntag, 15. Februar, 11 Uhr, feiert die evangelische Christusgemeinde den ersten „Baustellen-Gottesdienst“. Der will gut vorbereitet werden. Pastor Timo Rucks, der das experimentelle „Format“ mit seiner Frau Hanna „angezettelt“ hat, freut sich über die mit Feuereifer zu Werke gehenden Jugendlichen genauso wie auf das Event selbst. „Es wird sicher ganz anders als sonst“, sagt er mit Blick auf den Gottesdienst jenseits aller Konventionen, der fortan einmal im Monat einen festen Platz im Kalender bekommen soll. Die Vorgeschichte ist schnell erzählt: Nachdem das Pastorenpaar Rucks den Gottesdienst im Gemeindebrief in Kombination mit dem Hinweis „Betreten erwünscht“ zur Baustelle erklärt hatte, fand sich im November eine Gruppe von acht Interessierten zusammen, die sich mit Ideen und Vorschlägen einbrachten. Schnell wuchs dieser Kreis bis auf aktuell rund 30 Mitwirkende – hauptsächlich im Alter zwischen 40 und 55 Jahren – an. Dazu gehört eine neunköpfige Band, die am Sonntag moderne kirchliche Musik zum Mitsingen spielt.

Zusätzlich hat sich besagte Jugendgruppe gebildet. Die 15 Jungen und Mädchen im Alter von 13 bis 15 Jahren treffen sich einmal monatlich – und wollen künftig während des „Baustellen-Gottesdienstes“ nicht nur regelmäßig für Licht und Ton, sondern auch für ein Café sorgen, das jeweils die komplette hintere Hälfte des Kirchenschiffes einnimmt. Statt nach Hause zu eilen, sollen die Kirchgänger nach dem Gottesdienst dort verweilen und sich beim Genuss italienischer Kaffeespezialitäten über „Gott und die Welt“, ihren Glauben oder die Predigt austauschen.

Letztere hält am Sonntag Hanna Rucks. Die „Moderation“ übernehmen ihr Mann Timo sowie Manfred Sander, allerdings nicht von der Kanzel aus. Der Pastor lässt seinen Talar im Schrank. Er tauscht ihn gegen einen Blaumann ein und erklimmt in dieser Montur – wie auch Sander – zum Moderieren im Altarraum eine Baustellenleiter.

Zur Predigt und zum ganzen Gottesdienst sind hinterher Rückmeldungen erwünscht. Reaktionen werden im Gespräch oder auf der „Feedback-Tafel“ gesammelt. Dabei hat Rucks selbst gegen negative Statements rein gar nichts einzuwenden, im Gegenteil: „Es wäre schade, wenn wir keine bekämen, denn dann wäre es den Leuten ja egal, was wir hier machen“, sagt er.

Die Gemeinde soll mitbestimmen und mitgestalten auf der „Baustelle Gottesdienst“. „Hier kann sich noch alles verändern“, betont Rucks. Der Ablauf der Premiere steht indes fest. Ganz viel Musik wird es geben – und zwar modern. Die Texte wirft der Beamer auf die Großbildleinwand. Nach der Predigt wird eine „Zeit der Stille“ von zwei Geigen untermalt, die ein Stück aus „Cats“ spielen. „Die liturgischen Änderungen sollen den Gottesdienst nicht nur attraktiver machen, sondern auch aus der Routine reißen und helfen, sich seinen Glauben wieder bewusst zu machen“, erhofft sich Rucks.

Ein Highlight soll das Café sein, das die Jugendlichen auf die Beine stellen. Dessen „Prunkstück“, Rucks‘ italienische Gastronomie-Espressomaschine „La Cimbali M20“, haben die Konfirmanden zusammen mit Malerin Roswitha Kölling zu einem neuen Look und einer künstlerischen Gestaltung verholfen. Die mit Acrylfarbe aufgemalten Motive beruhen auf Vorlagen der Reckumer Künstlerin: Ein Leuchtturm steht sinnbildlich für das Projekt als leuchtendes Beispiel; ein Fisch symbolisiert das Christentum, und ein Schiff mit angedeutetem Kreuz und Kirchenfenstern nimmt Bezug auf Gotteshaus und Gemeinde.

Mit Hilfe der von Timo Rucks eigenhändig restaurierten Kaffeemaschine werden der Pastor und die Jugendlichen den Gottesdienstbesuchern italienische Spezialitäten wie Espresso, Cappuccino, Latte Macchiato oder Café Crème, aber auch Kakao und Tee anbieten. „Es freut mich ganz besonders, dass es jetzt in unserer Kirche auch richtig guten Kaffee gibt“, reibt sich Rucks als Liebhaber des „flüssigen italienischen Goldes“ die Hände.

Quelle: Kreiszeitung Online v. 12.02.2015